Berlin - Vertreter der deutschen Wirtschaft haben heftige Kritik am Streik der Lokführergewerkschaft GDL geübt. "Es ist jetzt nicht die Zeit für Streiks zu Lasten von Betrieben und Bürgern", sagte Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW) dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Donnerstagausgaben).

Die Wirtschaft erhole sich gerade erst von den Zwangsschließungen. "Die Betriebe zahlen die Zeche für die Profilierungssucht des GDL-Chefs", so Jerger. Er fordert die Kontrahenten auf, "schnellstens an den Verhandlungstisch zurückzukehren und aufeinander zuzugehen". Auch Vertreter der Chemieindustrie zeigten sich besorgt.

"Als transportintensive Branche ist die chemische Industrie auf reibungslose Abläufe im Bahnverkehr angewiesen", sagte eine Sprecherin des Branchenverbands VCI dem RND. Mehr als 20 Millionen Tonnen Chemikalien würden jährlich auf der Schiene transportiert, zum Teil sei der Bahntransport sogar vorgeschrieben. "Vor diesem Hintergrund haben Störungen im Schienengüterverkehr weitreichende Auswirkungen", warnte sie. Die Unternehmen prüften nun die Verlagerung von Transporten auf Lkw und in wenigen Fällen auf Binnenschiffe. Doch auf der Straße sind Transportkapazitäten ebenfalls knapp.

"Im Moment ist quasi kein Lkw verfügbar", sagte Nikolja Grabowski, Vorstand des europäischen Ladungsverbunds Elvis, dem RND. Seit Monaten kämpft die gesamte Industrie mit Lieferengpässen, weil die starken Nachfrageschwankungen in der Pandemie die Logistik überfordern. Die Transporteure hätten schon große Probleme, die angestammten Kunden zu versorgen, sagte Grabowski. Wer jetzt kurzfristig Kapazität am Spotmarkt buchen wolle, zahle "horrende Preise". Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln schätzt, dass bei einem längerfristigen Bahnstreik volkswirtschaftliche Kosten von bis zu 100 Millionen Euro täglich entstehen könnten.

"Kurzfristige Ausfälle sind im Schienengüterverkehr nichts Ungewöhnliches, das kennen die Logistiker und können entsprechend reagieren", sagte IW-Verkehrsökonom Thomas Puls dem RND. "Ab dem vierten oder fünften Streiktag allerdings drohen Lieferketten zu reißen - und dann wird es sehr schnell sehr teuer." SPD-Chef Norbert Walter-Borjans kritisierte das Vorgehen der GDL. Wirksame Interessenvertretung setze voraus, "Kräfte zu bündeln und Verständnis bei den Reisenden zu gewinnen", sagte er dem RND. Beides gelinge nicht, "wenn die Beschäftigtengruppen der Bahn auseinanderdividiert und die Kunden durch praktisch unangekündigten Streikaktionen düpiert werden". EVG und GDL müssten an einem Strang ziehen. "Wir brauchen eine leistungsfähige Bahn mit attraktiven Arbeitsbedingungen."

Grundsätzlich sagte der SPD-Chef, in den letzten Monaten sei besonders deutlich geworden, welch tragende Rolle der Schienenverkehr für die Mobilität der Zukunft spielen werde. Die Mitarbeiter der Bahn hielten das Land im besten Wortsinn nachhaltig in Bewegung. "Sie gehören damit zweifellos zu den systemrelevanten Beschäftigten. Ein Gehaltsgefüge, bei dem sich Bahnvorstände satte Bonuszahlungen genehmigen, die Bezahlung von Lokführern aber offenbar keinen Anreiz bietet, die vielen offenen Stellen besetzen zu können, erzeugt zwangsläufig Unmut."

Die SPD stehe an der Seite der Arbeitnehmer, auch bei der Bahn.

Foto: Lokführer unterhalten sich am Gleis (über dts Nachrichtenagentur)

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